Baunebenkosten im Versicherungswertgutachen
2025
Die stille Inflationsfalle: Baunebenkosten und die Unterversicherung in Bestandsverträgen
Die Ermittlung des Versicherungswerts von Wohngebäuden über den „Wert 1914“ und den Baupreisindex ist seit Jahrzehnten der Standard in der gleitenden Neuwertversicherung in Deutschland. Dieses System soll sicherstellen, dass die Versicherungssumme den tatsächlichen Wiederherstellungskosten zum Zeitpunkt des Schadens entspricht, indem die reinen Bauwerkskosten inflationsbedingt angepasst werden. Die jüngsten Entwicklungen am Bau- und Kostenmarkt offenbaren jedoch eine wachsende Diskrepanz, die insbesondere bei Bestandsverträgen zu einer kritischen Unterversicherung führen kann.
Überproportionaler Anstieg der Nebenkosten
Während der offizielle Baupreisindex die Entwicklung der reinen Baupreise (Löhne, Materialien) abbildet, die in den letzten Jahren – insbesondere seit 2020 – stark gestiegen sind (der Index liegt 2025 bei etwa 2.192,4, Basisjahr 1914 = 100, Quelle: destatis.de), sind die Baunebenkosten in vielen Bereichen überproportional zu den reinen Baukosten in die Höhe geschnellt.
Baunebenkosten umfassen typischerweise die Kosten, die nicht direkt der Bauleistung selbst zuzuordnen sind, aber für die Wiederherstellung eines Gebäudes unerlässlich sind. Hierzu zählen unter anderem:
- Honorar- und Planungskosten (Architekten, Fachingenieure, Sachverständige).
- Behördliche Gebühren (Baugenehmigung).
- Erschließungskosten (Anschluss an Versorgungsnetze).
- Kosten für Bodengutachten und Vermessung.
- Kosten für Abbruch, Entsorgung und Schadstoffbeseitigung.
Gerade die Kosten für Architektenleistungen, behördliche Genehmigungen und insbesondere für Abbruch und Entsorgung (z.B. bei schadstoffbelasteten Altbauten) zeigen eine Dynamik, die der Steigerungsrate des Baupreisindexes oftmals vorausläuft oder diesen deutlich übertrifft. Beispielsweise können sich die Honorare von Planern prozentual an den stark gestiegenen Gesamtbaukosten orientieren, während Abriss- und Entsorgungskosten durch höhere Umweltauflagen und gestiegene Deponiegebühren zusätzlich getrieben werden.
Die Gefahr der Unterversicherung in Bestandsverträgen
Der Wert 1914 basiert auf den angenommenen reinen Baukosten des ursprünglichen Gebäudes.
Dieser Wert wird jährlich mit dem Baupreisindex des Statistischen Bundesamtes (auch bekannt als Anpassungsfaktor) multipliziert, um die aktuelle Versicherungssumme festzulegen.
Da der Baupreisindex primär die Entwicklung der reinen Bauwerkskosten widerspiegelt, aber die überproportional gestiegenen Baunebenkosten nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt, führt dies zu einer systematischen Unterbewertung der Gesamtwiederherstellungskosten.
Im Schadensfall, insbesondere bei einem Totalschaden, muss der Versicherungsnehmer jedoch die gesamten Kosten inklusive der real deutlich höheren Baunebenkosten aufbringen. Ist die Versicherungssumme aufgrund der unzureichenden Indexierung der Baunebenkosten zu niedrig, droht die Anwendung der Unterversicherungsregel gemäß § 75 VVG. Dies hätte zur Folge, dass die Entschädigungsleistung nur anteilig im Verhältnis des tatsächlichen Werts zum versicherten Wert erbracht wird.
Überprüfung des Wert 1914: Bei älteren Bestandsverträgen sollte vereinbarte Grundsumme 1914 oder 1970/1980 anhand der aktuellen Kostenstruktur und unter expliziter Berücksichtigung der real anfallenden Baunebenkosten (die typischerweise 18 % bis 25 % der Gesamtbaukosten ausmachen können) neu bewertet werden.
Individuelle Anpassung: Wo möglich, sollten Versicherungsverträge nicht ausschließlich auf den Baupreisindex vertrauen. Es ist eine Prüfung erforderlich, ob die individuellen Baunebenkosten des Objekts (z.B. hohe Ausbaukosten bei besonderer Bauweise oder örtliche Besonderheiten) eine Anpassung des Versicherungswertes über den Standard-Index hinaus erfordern.
Sondervereinbarungen: Versicherer sind angehalten, Tarife anzubieten, die einen Puffer für überproportional gestiegene Baunebenkosten vorsehen oder die eine erweiterte Neuwertentschädigung beinhalten, die die Unterversicherung durch unzureichend indizierte Nebenkosten abfedert.
Die Diskrepanz zwischen der indexierten und der realen Kostenentwicklung der Baunebenkosten stellt eine wachsende Herausforderung für die Wertermittlung dar und erfordert eine proaktive Anpassung der Versicherungssummen, um den elementaren Grundsatz der gleitenden Neuwertversicherung – die vollständige Wiederherstellungssicherheit – weiterhin gewährleisten zu können.
Fachbeitrag , Stand 2025

